Editorial der Februar-Ausgabe 2020 des Berliner Gartenfreunds - von Michael Jubelt
Mehr Mut zum Ehrenamt!
Kindheitserlebnisse können prägend fürs ganze Leben sein und dem Lauf der Dinge überraschend eine neue Richtung, einen anderen Sinn geben. Diese Erfahrung mache ich gerade. Seit reichlich einem halben Jahr bin ich Vorsitzender des Bezirksverbands Süden der Kleingärtner e. V. in Berlin. Damit schließt sich für mich ein Kreis, der vor mehr als 50 Jahren seinen Ausgangspunkt hatte.
Kindheit im Kleingarten
Ich hatte das große Glück, meine komplette Kindheit in einem Berliner Kleingarten, mitten im Grünen, verbringen zu können. Dass ich selbst einmal Kleingärtner werden würde, war damit vorgezeichnet. Doch ich wollte nicht nur gärtnern, sondern auch Einfluss nehmen auf die Zukunft unserer Anlage. So kam es, dass ich schon in relativ jungen Jahren meine ersten Gehversuche im Ehrenamt unternahm, um meine eigenen Ideen in die Vorstandsarbeit unserer Kleingartenanlage einfließen zu lassen.
Etwas Sinnvolles anfangen
Dann kam eine Lebensphase, in der mein Beruf meine ganze Aufmerksamkeit forderte und ich mich deshalb aus der Vorstandsarbeit zurückziehen musste. Als ich aber vor rund zwei Jahren die Möglichkeit erhielt, in den Vorruhestand einzutreten, hatte ich plötzlich wieder Zeit. Auf einmal stellte sich mir die Frage, was ich künftig damit Sinnvolles anfange. Bis
zum Gedanken, dass ich mich wieder verstärkt meinem geliebten Kleingarten zuwenden möchte, war es nur ein kleiner Schritt. Und in einer zweiten Überlegung wurde mir schnell klar, dass ich wieder gestaltend dabei sein und meine Arbeitskraft und meine Vorstellungen für das Kleingartenwesen einbringen möchte.
Mitgestalten und Entscheidungen mittragen
Bei der Weichenstellung kam mir der Zufall zu Hilfe: Im Bezirksverband Berlin-Süden, in dem auch meine Anlage liegt, wurde ein Beisitzer gesucht, der sich vorrangig um digitale Themen kümmern sollte. Das interessierte mich und im Sommer 2017 wurde ich dann auch tatsächlich gewählt. Aus dem Hinterbänkler war ein Kleingärtner geworden, der in der „zweiten Reihe“ steht und Entscheidungen mitträgt, die für viele Menschen von Bedeutung sind. Fortan kümmerte ich mich also um die Digitalisierung der Arbeit des Bezirksverbands, übernahm aber auch andere Aufgaben im Vorstand, denn es machte mir Spaß mitzugestalten.
Vorstand als Team begreifen
Nun bin ich seit gut einem halben Jahr erster Vorsitzender des Bezirksverbandes. Anfangs hatte ich schon Manschetten vor diesem Schritt und befürchtete, ich hätte nicht genug Erfahrung für diese große Verantwortung. Aber ich habe festgestellt, dass ich ja nicht alleine bin und ein erfahrenes Team hinter mir steht. Die Vorstandsmitglieder an meiner Seite beraten, wo die Erfahrung noch fehlt, unterstützen neue Ideen und bremsen ein wenig, wo ich zu schnell bin.
Noch keine Sekunde habe ich bisher bereut, meine Entscheidung für dieses Ehrenamt getroffen zu haben. Ich sammle fast täglich neue Erfahrungen. Ich lerne, dass schon kleine Schritte große Erfolge bringen können, aber auch, dass nicht alles so schnell zu ändern ist, wie ich es gerne hätte. Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich einfach nur zu trauen, Änderungen und Modernisierungen anzustoßen, neue Ideen und Ansätze einzubringen, um damit
stückchenweise auch ältere und erfahrene Vorstandskollegen nach und nach zu begeistern. Änderungen klappen eben nur gemeinsam im Team.
Nehmt Einfluss, traut Euch!
In meiner neuen Funktion kommt mir des Öfteren zu Ohren, dass viele Vereine und Bezirksverbände Nachwuchssorgen haben, weil sich niemand mehr auf ein Ehrenamt einlassen möchte. Das ist schade, denn gerade auf diesem Engagement basiert die erfolgreiche Arbeit des Berliner Kleingartenwesens. Darum appelliere ich an alle überzeugten Kleingärtner mit dem Willen, Einfluss auf das Schicksal ihres Vereins
zu nehmen: Traut euch, gestaltet mit, lasst uns gemeinsam das Kleingartenwesen modernisieren und helft mit bei der Einleitung eines Generationswechsels! Oder einfach gesagt: Habt mehr Mut zum Ehrenamt!
Michael Jubelt
1. Vorsitzender des Bezirksverbands Berlin-Süden der Kleingärtner e. V.
Dieser Beitrag ist als Editorial der Februar-Ausgabe 2020 der Verbandszeitschrift Berliner Gartenfreund erschienen und mit freundlicher Genehmigung des Autoren auch hier.