Von Susanne Fünfstück
Naturgärten sollten nicht polarisieren
Wenn Sie einen echten Naturgarten in Ihrer Nähe haben, können Sie sich freuen. Denn hier finden sich jedes Jahr vielerlei Tiere ein, die ja vielleicht auch bei Ihnen vorbeikommen und die Sie bei der Gelegenheit etwas näher kennen lernen können. Wer von Ihnen gerne mit dem Fotoapparat unterwegs ist, hat das ja sicher schon festgestellt: Man/frau sitzt im Winter vor dem Bildschirm, sortiert Gartenfotos und ist glücklich. Schöne Erinnerungen an das Gartenjahr steigen auf und es mehren sich die Wünsche und die Pläne für das kommende Jahr.
Entdeckungen
Und manchmal gibt es eine überraschende Entdeckung auf den Bildern. Da zeigt sich ein kleiner Bläuling auf der Kleeblüte, den Sie vorher nicht gesehen haben. Und was ist das für eine komische gestreifte Fliege? Eine Totenkopfschwebfliege, wie interessant! Und dieses dunkle, elegante Wesen, fast wie in schwarze Spitze gehüllt? Ein Trauerschweber, sagt das Lexikon. Ein Parasit, kein Wunder, dass der in der Nähe der Nisthilfen herumschwirrte. In der Vergrößerung am Bildschirm sehe ich auf einem anderen Foto, dass die Hornisse eine Wespe gepackt hat, die sie nun zerlegt. Die Krabbenspinne hat eine Biene eingewickelt, die größer ist als sie selbst.
Erstaunlich, dass alles, und es nimmt kein Ende. Wer einmal anfängt, sich für das Leben im Kleinen zu interessieren, merkt schnell, wie sehr es den Blick auf die Umgebung verändert. Grüner, makelloser Rasen erscheint vergleichsweise arm und öde und überhaupt nicht erstrebenswert. Eine kräftige Kratzdistel ist dagegen ein Hotspot, wie es so schön heißt. Hier tummeln sich eine Vielzahl kleiner Insekten. Aber auch die größeren Tiere lassen sich im Naturgarten gut beobachten: Eine Gelbhalsmaus, die (ja, wirklich!) auf der gelben Skabiose herumturnt und die Samen erntet. Eine Schar kleiner Eidechsen, die sich auf dem Gemüsebeet sonnt, das Rotkehlchen, das in der Wildstrauchecke sein Nest gebaut hat, nun auf Futtersuche ist und Sie auf Schritt und Tritt verfolgt.
Beim Anblick scheiden sich die Geister
Sicher, beim Anblick des Naturgartens im Herbst oder Winter, spätestens dann scheiden sich die Geister. Für einige Menschen ist es schwer zu ertragen, das Wirrwarr abgestorbener und brauner Zweige und Triebe. Keine blanke Erde, keine Struktur. Aber ehe Sie sich über den Anblick ärgern, könnten Sie ja die Gärtnerin oder den Gärtner fragen, was ihnen wichtig ist auf ihrer Parzelle. Warum sie das oder jenes tun oder lassen. Womöglich erzählen Ihnen die Betreffenden ein paar interessante Geschichten über die Begegnungen mit Vier-, Sechs- oder Achtbeinern.
Und ganz sicher kommen Sie gut ins Gespräch, wenn Sie einander respektieren. Denn die Trockenheit und die Hitze, die Sorge um den Fortbestand der Kleingärten wie die Sorge um den Fortbestand der Natur treffen alle Gärtnerinnen und Gärtner gleichermaßen. Und was immer über „die“ Naturgärtner oder „die“ traditionellen Gärtner scherzhaft oder in trüber Absicht verbreitet wird – machen Sie sich selbst ein Bild und lassen Sie sich nicht polarisieren. Suchen Sie das Verbindende und nicht das Trennende. Die Zeiten einer (erzwungenen) Beschränkung auf das Wesentliche, wie wir sie jetzt durch Corona erleben, sind übrigens bestens dafür geeignet.
Textbetrag von Susanne Fünfstück
Gartenfachberaterin in der KGA Zur Linde (Treptow)
Dieser Beitrag ist als Editorial in der Juni-Ausgabe 2020 in der Verbandszeitschrift "Berliner Gartenfreund" erschienen und mit freundlicher Genehmigung der Autorin auch hier.
Fotos Naturgarten: Grüne Liga Berlin