Verfasst am 16.10.2020 um 11:40 Uhr

„Warum sollten nur wir etwas davon haben?“    

In Weißensee öffnet sich die Kleingartenanlage Frieden für Kindergärten, Schüler und erholungsbedürftige Erwachsene    

Jugendliche haben eine gern genutzte Spielfläche entworfen. Foto: Jürgen Thrun.

Die ersten Schritte in die Kleingartenanlage Frieden in Weißensee sind bereits ein Erlebnis. Auf der rechten Seite des Hauptweges leuchten Cosmea, Zinnien und bunte Dahlien. Ein Blickfang für alle Besucher ist eine urige Holzlaube. Die Pächter renovieren sie derzeit und versuchen, die alte Bausubstanz zu erhalten. Ihre Schätze wollen die Kleingärtner gerne mit der Öffentlichkeit teilen. Wenn man ein paar Schritte weiter zum Vereinsplatz geht, sieht man, wie gut das funktioniert. Hier kommen inzwischen Kindergartenkinder, Oberschüler und erholungsbedürftige Erwachsene zusammen.


Der Vereinsplatz wurde drei Jahre umgebaut. Eine Gartenfreundin hatte sich zusammen mit einer Gartenarchitektin beraten und Ideen gesammelt. „Früher war hier einfacher Rasen. Inzwischen ist das ein naturbelassener Ort für Gartenfreunde und Besucher“, freut sich Jürgen Thrun. Er ist 1. Vorsitzender der Anlage, die insgesamt 124 Parzellen umfasst.


Schüler chillen auf der Holzbank

In der Mitte des Platzes wurde ein großes Hügelbeet angelegt. Die Beetumrandung besteht aus naturbelassenem Holz. In den riesigen Lavendelbüschen und anderen insektenfreundlichen Pflanzen summt und brummt es gehörig. Ein XXL-Insektenhotel ist sogar mit einer Dachbegrünung ausgestattet. Eine große alte Esche wird von einer Bank umrundet. „Da hat uns das benachbarte Oberstufenzentrum geholfen“, erzählt Jürgen Thrun. Die Jugendlichen haben die Bank geplant und gebaut. Inzwischen kommen auch andere Schüler vorbei und atmen durch, nachdem der Unterricht vorbei ist. „Die Kinder sollen sich hier wohlfühlen und gerne ein wenig chillen, bevor sie sich auf den Heimweg machen“, sagt Thrun, der selbst zwei Kinder hat.


Inzwischen hat die Baum-Bank Gesellschaft bekommen. Ein halbes Dutzend gemütlicher Holzbänke steht einladend auf dem Vereinsplatz. Zwei junge Frauen aus der Nachbarschaft haben es sich dort gemütlich gemacht. „Wir finden es hier toll. Man kommt direkt weg von dem Trubel der Straße. Es ist wie draußen in der Natur.“ Die beiden haben eine Melone dabei und genießen den lauen Abend mit Blick auf das Hügelbeet. „Wir gehen oft hier durch. Besonders freuen wir uns immer, wenn die Kleingärtner Obst und Gemüse zum Mitnehmen rausstellen“, schwärmen Nina und Thea.


Zum Naschen und Staunen für die Kindergartenkinder: Die Kräuterspirale. Foto: Alexandra Immerz.

Kooperation mit Kindertagesstätten

Auch Kindergartenkinder sind willkommen. Der Verein kooperiert mit zwei Kindertagesstätten. „Unsere Gartenfreunde haben zusammen mit den Kindern zwei Hochbeete gebaut“, berichtet Thrun. Die Kinder haben Tomaten und Erdbeeren gepflanzt und kümmern sich um die Beete. Eine selbst gebastelte Libelle passt auf, dass im Beet alles seine Richtigkeit hat. Neben dem Beet steht ein kleiner Schrank, wo die fleißigen Nachwuchsgärtner ihre Gartengeräte aufbewahren: Grüne und rote Harken, Spaten und Schaufeln hängen ordentlich wie bei den sieben Zwergen an den Haken.


Gleich neben den Kinder-Beeten wachsen Pfefferminze, Thymian und Oregano zwischen naturbelassenen Steinen in einer Kräuterspirale. „Die Kinder sollen sehen, wie schnell Kräuter wachsen. Und erleben, wie sie sich anfühlen und schmecken“, findet Jürgen Thrun.


Eierlaufen auf der Multifunktionsfläche

In der Mitte des Platzes hat der Verein eine Multifunktionsfläche gebaut, auch in Kooperation mit dem benachbarten Oberstufenzentrum. „Die Jugendlichen haben die Flächen entworfen. Umgesetzt wurde das Projekt von Gartenfreunden“, erzählt Thrun. Die Fläche ist nicht nur für Vereinsfeste reserviert. Jürgen Thrun zeigt auf das Feld: „Wenn man genau hinsieht, erkennt man ein großes Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielfeld.“ Eine fröhliche Nutzung erlebte die Multifunktionsfläche vergangenes Jahr beim internationalen Weltspieltag. „Aus der Zeitung haben wir davon erfahren und haben uns als Verein beteiligt“, sagt Jürgen Thrun. Er erinnert sich gern an ausgelassenes Sackhüpfen, Eierlaufen und Schminken. „Ein Gartenfreund hat mit 80 Kindern aus der Nachbarschaft Sämereien in die Erde gepflanzt. Die Kinder konnten abends ein kleines Stück Garten mit nach Hause nehmen und beobachten, wie die Samenkörner aufgingen.“


Festes Spezialteam zur Pflege der Fläche

Ein so schöner und abwechslungsreicher Platz braucht natürlich mehr Pflege als eine eintönige Rasenfläche. Auch dafür haben die Kleingärtner aus Frieden einen guten Weg gefunden. „Wir sind von der herkömmlichen Gemeinschaftsarbeit ein wenig weggekommen“, berichtet Jürgen Thrun. „Es hat sich eine Gruppe von etwa 15 Leuten gebildet. Die kümmern sich das ganze Jahr um den Platz. Sie pflegen und wässern die Pflanzen und schauen nach, ob alles in Ordnung ist.“ Damit hat diese Gruppe ihre Pflichtstunden erfüllt. „Wir nennen das individuelle Gemeinschaftsarbeit“, erzählt der Vorsitzende.


Den frischen Wind kann man nicht nur auf dem Vereinsplatz spüren. Wenn man durch die Anlage schlendert, sieht man immer wieder Zeichen für das Engagement der Gartenfreunde: Hinweisschilder auf den „Tag des offenen Kleingartens“ des Bezirksverbands Weißensee, Sticker mit der Aufschrift „Ackergifte? Nein Danke!“. Freundliche Kastanienketten zieren die Gartenzäune, wo auch immer wieder Erntegeschenke für Gäste bereitstehen. In den Schaukästen des Vereins hängen auch Hinweise auf interessante Veranstaltungen von anderen Organisationen in der Nachbarschaft.


Auf der Webseite die "Kleine Gartenkunde" der Gartenfachberaterin

Noch in diesem Jahr wird es ein weiteres Angebot geben, zu dem die Gartenfreunde aus der Anlage genauso eingeladen sind wie Interessenten aus der Nachbarschaft. Zusammen mit einer Grafikerin haben die Gartenfreunde einen Lehrpfad entwickelt, der den richtigen Umgang mit Pflanzen und Tieren im Jahreskreislauf zeigen soll. Die Fotos für die informativen Tafeln stammen zum Teil aus Gärten der Anlage. Kinder lernen die Schlupfphasen des Marienkäfers kennen. Erwachsene erfahren, dass Rosen im Frühjahr erst dann geschnitten werden sollten, wenn die Forsythie blüht. „Vielleicht stellen wir die Fotos von den Tafeln auch auf unsere Internetseite“, überlegt Jürgen Thrun. „Wir haben auf unserer Homepage bereits eine kleine Gartenkunde, die aus der Feder unserer ehemaligen Gartenfachberaterin stammt.“


Jürgen Thrun ist seit neun Jahren Kleingärtner. Den Vorstandsposten bekleidet er seit sechs Jahren. „Ich war Schriftführer, als unser damaliger Vorstand abgetreten ist. Man hat mir damals gesagt, dass das Amt nicht allzu arbeitsintensiv ist.“ Schnell hat der gebürtige Berliner erkannt, dass das ein wenig untertrieben war: „Ich hatte gleich nach Amtsantritt jede Menge Arbeit, weil ich um den Erhalt einiger Gärten kämpfen musste“, erinnert sich Thrun. Der Anlass: ein Bauprojekt auf dem benachbarten Georgen-Parochial-Friedhof III. Die Baustraße und die spätere Zufahrt sollte durch die Kleingartenanlage Frieden führen. Der besorgte Vorstand lud den Baustadtrat zum Ortstermin ein. Dabei stellte sich heraus, dass es viel besser wäre, wenn die Straße am Rand des Friedhofs entlangführen würde. Die zehn Parzellen waren gerettet.


Baupläne waren ein heilsamer Schock

Das Bauprojekt war aus Sicht von Jürgen Thrun durchaus ein heilsamer Schock: „Die Pächter waren erschrocken und haben verstanden, dass wir ab sofort Öffentlichkeitsarbeit machen müssen“, erzählt Thrun. Daraufhin hat der Verein eine Satzungsänderung per Beschluss vorgenommen. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde in den geschäftsführenden Vorstand aufgenommen. „Diese Arbeit ist für uns hoch angesiedelt. Ich muss mich mit dem Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig austauschen und nicht nur alle zwei Monate.“


Am Ende des Rundgangs stößt Gartenfreund Thorsten dazu. Er erzählt, dass er sich kürzlich darum gekümmert hat, dass der Eingangsbereich der Anlage einladender wirkt. Bislang standen dort baufällige und mit Graffiti beschmierte Säulen aus der Gründerzeit. Thorsten arbeitet bei einer Baufirma. Zusammen mit seinem Chef studierte er alte Baupläne und schaffte es tatsächlich, die Säulen zu erhalten. „Wir haben jede Menge geschliffen und neu verfugt. 100 Stunden habe ich dafür gebraucht. Aber es hat sich gelohnt“, freut sich Thorsten. Er ist froh, dass er vor fünf Jahren einen Kleingarten in der Nähe seiner Wohnung gefunden hat. Und dieses Glück will er durchaus teilen: „Ich finde es gut, dass die Anlage offen und freundlich ist“, sagt er. „Warum sollten nur wir etwas davon haben? Gerade jetzt, während der Corona-Pandemie, ist es wichtig, dass alle Nachbarn vorbeikommen und durchatmen können.“


Alexandra Immerz

Redaktion Verlag W. Wächter



Dieser Artikel erschien in der Rubrik "Hereinspaziert – wie sich Berlins Kleingartenanlagen öffnen" in der Oktober-Ausgabe 2020 der Verbandszeitschrift "Berliner Gartenfreund" ( Seite 10/16 bis 10/17) und mit freundlicher Genehmigung des Verlags W. Wächter auch hier.