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Verfasst am 01.11.2013 um 14:00 Uhr

Kein Freibrief fürs Abwälzen

Bundesrichter bestätigen: Kleingärtner sind an Vertragsvereinbarungen gebunden   


Klaus Kuhnigk

Überall, wo es im privaten oder öffentlichen Leben vertraglich festgeschriebene Regelungen gibt, kann es zwischen den Vertragsparteien zu Meinungsverschiedenheiten über deren Inhalte, Anwendungen und Auslegungen kommen. Im ungünstigsten Fall mündet das in juristische Auseinandersetzungen bis hin zu höchstrichterlichen Entscheidungen. Das Kleingartenwesen macht dabei keine Ausnahme. Der langjährige Rechtsanwalt des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e.V. Klaus Kuhnigk steht im Interview mit der Verbandszeitschrift „Gartenfreund“  (Ausgabe November 2013) Rede und Antwort.



Gartenfreund: Welche hauptsächlichen Rechtstreitigkeiten werden zwischen den Bezirksverbänden und Kleingärtnern ausgetragen?

Klaus Kuhnigk: Es kommt immer wieder zu Verfahren auf Räumung einer Kleingartenparzelle, auf Beseitigung von Baulichkeiten, Zahlung einer angemessenen Entschädigung sowie auf Unterlassung vielfältiger vertragswidriger Nutzungen seitens der Kleingärtner. Bei den Verfahren ist zu beobachten, dass Kleingärtner versuchen, sich von gesetzlich und vertraglich bestehenden Verpflichtungen zu lösen. Bei den Entschädigungsklagen stehen enttäuschte Vorstellungen über die Höhe einer angemessenen Entschädigung bei Parzellenaufgabe im Vordergrund. Bei den Klagen auf Unterlassung vertragswidriger Nutzungen prallen die Auffassungen der Kleingärtner und die Wirklichkeit des Bundeskleingartengesetzes aufeinander.


Was ist der Auslöser für derartige Rechtstreitigkeiten?

Bei den Räumungsklagen ist es häufig die Unkenntnis der Kleingärtner zur Rechtslage. Leider ist auch die Inanspruchnahme von Rechtsberatung nicht immer hilfreich, da viele Kollegen bei einem wirksam beendeten Unterpachtvertrag ihren Mandanten die Herausgabe einer Kleingartenparzelle nicht empfehlen und hierdurch erst die gerichtliche Auseinandersetzung provozieren. Bei Rechtstreitigkeiten um die Beseitigung von Baulichkeiten steht der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund.


... also die Kostenfrage, wer muss das bezahlen ...

... genau, denn die Beseitigung von widerrechtlich errichteten Baulichkeiten beziehungsweise die Erfüllung von vertraglich übernommenen Beseitigungsverpflichtungen stellt einen erheblichen Kostenfaktor dar, der nicht unbedingt der Interessenlage des Kleingärtners entspricht.


Der Konflikt ist also vorprogrammiert?

Das nicht, aber auch nicht unausweichlich, da dieses Interesse nicht schützenswert ist. Immerhin hat sich bei den widerrechtlich errichteten Baulichkeiten ein Kleingärtner zu Lasten der vertragstreuen Kleingärtner einen Vermögensvorteil verschafft und will nun die Kosten der Beseitigung auf die Gemeinschaft der Kleingärtner abwälzen. Mit den vertraglich übernommenen Beseitigungsverpflichtungen hat der Kleingärtner als Gegenleistung die Nutzung einer Laube erhalten, deren Größe die vertraglich oder gesetzlich zulässige Quadratmeterzahl überschreitet. Der Kleingärtner hatte sich bei Abschluss des Unterpachtvertrages bewusst für diese Größe entschieden. Für diesen Nutzungsvorteil hat er bei Beendigung des Unterpachtvertrages die wirtschaftliche Gegenleistung zu erbringen.


Gilt das auch für bestandsgeschützte Lauben?

Rechtswidrig errichtete Baulichkeiten sind vom Bundeskleingartengesetz nicht in ihrem Bestand geschützt. Es kommt daher nicht darauf an, ob sie vor Inkrafttreten oder nach dem Inkrafttreten des Bundeskleingartengesetzes errichtet worden sind. Bei vertraglich übernommenen Beseitigungsverpflichtungen ist zu beachten, dass auch rechtmäßig errichtete Baulichkeiten von der Beseitigungsverpflichtung erfasst werden.

Denn Verträge sind einzuhalten. Selbst wenn eine Baulichkeit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundeskleingartengesetzes*) rechtmäßig gewesen wäre, müsste sie aufgrund der vertraglich eingegangenen Beseitigungsverpflichtung nunmehr auf die vertraglich geschuldete Größe reduziert werden.


Müssen Kleingärtner auch nach der Beendigung des Unterpachtvertrages für ihre Kleingartenparzelle zahlen?

Wenn ein Kleingärtner nach der wirksamen Beendigung seines Unterpachtvertrages die Kleingartenparzelle nicht an den Bezirksverband als Zwischenpächter herausgibt, muss er selbstverständlich eine Nutzungsentschädigung in Höhe des üblichen Pachtzinses für die Zeit bis zur geräumten Herausgabe zahlen. Erst dann endet seine Verpflichtung zur Pachtzinszahlung, sofern nichts anderes im Unterpachtvertrag vorgesehen ist.


Was sollte das sein?

Nun, sofern sich kein neuer Unterpächter als Nachfolger findet, steht der scheidende Kleingärtner vor einem Dilemma. Kann seine Kleingartenparzelle nicht zeitnah weiterverpachtet werden, gehen die Anpflanzungen zugrunde und der Zustand der Baulichkeiten verschlechtert sich. Dies wiederum engt den Bewerberkreis zusätzlich ein, da die Kleingartenparzelle an Attraktivität verliert. In derartigen Fällen wird von

Bezirksverbänden das Angebot unterbreitet, den Kleingarten bis zur Neuverpachtung weiter zu bewirtschaften und hierfür den Pachtzins zu zahlen. Diese Praxis hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen **) ausdrücklich gebilligt, weil sie den Interessen des ausscheidenden Kleingärtners dient.


Was ist an dem Vorwurf dran, Bezirksverbände würden auf diese Weise Kleingärtner übervorteilen wollen?

Dieser Vorwurf ist absurd. Zum einen wird übersehen, dass der betroffene Kleingärtner selbst entscheiden kann, ob er das Angebot des Bezirksverbandes annehmen will. Andererseits bleibt unberücksichtigt, dass mit diesem Angebot ein Schaden, den die Gemeinschaft der übrigen Kleingärtner zu tragen hätte, vermieden wird. Warum sollten die übrigen Mitglieder einer Kleingartenanlage für die finanziellen Interessen eines Einzelnen gerade stehen, warum die Kleingartenparzelle für einen nicht vorhandenen Bewerber bewirtschaften? Da jeder Kleingärtner von dem Verpachtungsrisiko in gleicher Weise betroffen ist, ist es auch selbstverständlich, wenn der betroffene Kleingärtner für sich entscheidet, ob er auf das Angebot des Bezirksverbandes eingeht oder geringere Entschädigungsleistungen in Kauf nimmt.


Welche Entschädigung können Kleingärtner bei Beendigung des Unterpachtvertrages erwarten?

Sie können bei Beendigung ihres Unterpachtvertrages eine angemessene Entschädigung im Sinne des Kleingartenrechts erwarten. Die Höhe dieser Entschädigung, die im einzelnen durch die Abschätzrichtlinien des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde ermittelt wird, ist eindeutig und durch den kleingärtnerischen Nutzwert begrenzt. Dieser ist nicht identisch mit dem Verkehrswert beziehungsweise dem Zeitwert einer Baulichkeit. Auch werden Ausstattungen, die dem dauerhaften Wohnen dienen, wie Isolierglas, Wärmedämmung, Fliesen, Holzvertäfelungen usw., nicht bewertet. Diese Ausstattungsmerkmale sind unerheblich für den eigentlichen, nach wie vor gültigen Nutzzweck einer Laube, der Aufbewahrung von Gartengeräten. Dennoch finden sich immer wieder Rechtsvertreter, die erfolglos versuchen, höhere Entschädigungszahlungen bei Gericht durchzusetzen.


Wie bewerten Sie die Tätigkeit der Bezirksverbände in rechtlicher Hinsicht?

Die mir vorliegenden Informationen zeigen einen sehr verantwortungsvollen Umgang der Bezirksverbände mit Rechtstreitigkeiten. Jeder notwendigerweise geführte Prozess wird ausgewertet und das Ergebnis in die Praxis umgesetzt. Dies belegt die enorme Erfolgsquote der Bezirksverbände bei gerichtlichen Auseinandersetzungen, was andererseits nicht ausschließt, dass ein Fall auch mal verloren geht. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Funktionäre im Ehrenamt nicht in jedem Einzelfall eine zuverlässige Erfolgsprognose für eine rechtliche Auseinandersetzung abgeben können. Auch wenn sie keine professionellen Rechtsvertreter sind, ist es äußerst beachtlich, wenn sie auf dem Rechtssektor Arbeitsergebnisse vorzuweisen haben, die sonst nur von professionell geführten Rechtsabteilungen mittelständischer Unternehmen erreicht werden.



*) 1983 i. d. alten, 1990 i.d. neuen Bundesländern
**) BGH 11.4.2013, Aktenz. III ZR249/12  und BGH 21.2.2013, Aktenz. III ZR 266/12